WM 2022 in Katar: Kritik und Kontroversen

Wie bei kaum einer anderen Fußball-Weltmeisterschaft zuvor, steht der Veranstalter der WM-Endrunde 2022, Katar, in der Kritik. Zahlreiche Fans, Verbandsvertreter und Funktionäre haben bereits auf unterschiedlichsten Wegen Bedenken und Unverständnis kundgetan. Und das nicht nur hinsichtlich der Planung, Organisation und Umsetzung des größten Fußballturniers der Welt; sondern auch oder gerade wegen der politischen Situation und Menschenrechtslage in Katar.


Eine umfassende Darstellung der Kritik und Kontroversen ist an dieser Stelle unmöglich. Gleichzeitig müssen aber auch all die negativen und teils unerklärlichen Gesichtspunkte der – eigentlich als großes Fußballfest gedachten – WM thematisiert werden. Auch wenn der inhaltliche Fokus von fussballweltmeisterschaft.online auf dem Sportlichen sowie all den positiven Seiten des Fußballs liegen soll, ist es alternativlos, einige der kritischen Themen und Kontroversen hier vorzustellen.

War die WM-Vergabe an Katar rechtmäßig?

Bereits seit der Bekanntgabe Katars als Austragungsort der WM 2022 standen Vorwürfe wegen Korruption und Bestechung im Raum. Nach dpa-Angaben gibt es Vermutungen und sogar Beweise, dass Katar vor dem Abstimmungsverfahren zur Vergabe der Weltmeisterschaft einige Ex-Mitglieder des Exekutiv-Kommitees der FIFA bestochen habe, um sich gegen den damaligen Mitbewerber Australien durchsetzen zu können. Die englische Wochenzeitung Sunday Times berichtete bereits im Jahr 2014 von angeblichen Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe. Eine im New Yorker FIFA-Prozess getätigte Zeugenaussage 2017 bestätigte diese Sichtweise. Sogar eine Neuvergabe der WM schien zwischenzeitlich im Rahmen des Möglichen, konnte letztlich aber nicht realisiert werden. Laut eines Artikels der Süddeutschen Zeitung mit Verweis auf die dpa (Deutsche Presse-Agentur) im April 2020 äußersten die Organisatoren der Katar-WM, sich während des Bewerbungsprozesses „streng an alle Regeln und Vorschriften gehalten“ zu haben.

Menschenrechtslage und Arbeitsbedingungen

Amnesty International Berichte

Einer der schwerwiegendsten Kritikpunkte ist die Menschenrechtslage in Katar. So ist in dem Land beispielsweise Homosexualität verboten und wird strafrechtlich verfolgt. Außerdem sorgten auch die offenbar widrigen, ausbeuterischen und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen für die tausenden Gastarbeiter auf den Baustellen zu WM-Projekten (u. a. Neu- und Umbauten der WM-Stadien) für negative Schlagzeilen und Fassungslosigkeit. Mehrfach berichtete die Menschenrechtsorganisation Amnesty International über Fälle von Täuschung, Ausbeutung und Zwangsarbeit.

ARD-Doku „Katar – WM der Schande“

Auch die vierteilige ARD-Dokumentation „Katar – WM der Schande“ legt Verstöße gegen internationale Arbeitsstandards offen. Darüber hinaus berichtet die Doku in Episode 02 „Die Toten“ auch über Gastarbeiter, die auf den WM-Baustellen offenbar zu Tode gekommen sind. Anschließend seien Totenscheine ausgestellt worden, ohne die tatsächlichen Todesursachen angemessen untersucht zu haben. Amnesty International vermutet, dass es rund 70 % ungeklärte Todesfälle geben könnte. Zur genauen Anzahl verstorbener Arbeiter gibt es derzeit keine exakten Zahlen.

2018 informierte die Bundesregierung über erste Fortschritte: So habe sich der Wüstenstaat Katar der Kritik bezüglich der Ausbeutung von ausländischen Arbeitern gestellt und zusammen mit der ILO (Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen) erste konkrete Reformen beschlossen. Eine konkrete Umsetzung bleibe laut der ARD-Dokumentation allerdings in vielen Fällen fraglich, was u. a. Gastarbeiter-Interviews zu nicht gezahlten Gehältern veranschaulichen. Und auch der mittlerweile erhöhte Mindestlohn auf etwa 230 Euro monatlich reicht nach Angaben von Amnesty International  kaum zur Deckung der Lebenshaltungskosten der Arbeiter und ihrer Familien.

Pressefreiheit

Die Pressefreiheit ist im autoritären Katar eingeschränkt – und die ohnehin schon strengen Regeln werden im Rahmen der Weltmeisterschaft 2022 offenbar noch verschärft. Laut ARD gebe es für Journalisten und Fernsehteams strikte Vorgaben über Drehorte und -inhalte. So sei das Filmen von Unterkünften der Arbeiter sowie privaten Räumlichkeiten beispielsweise untersagt.

Boykott der WM in Katar

Eine der größten Kontroversen bei Fans und Funktionären besteht darin, ob ein vollständiger Boykott der WM in Katar angebracht ist. So ruft die Initiative #BoycottQatar2022 auf ihrer Webseite Fußballfans dazu auf, sowohl die Weltmeisterschaft als auch die FIFA-Politik aktiv zu boykottieren. In Deutschland haben sich Fans in zahlreichen Fußballstadien Deutschlands (u. a. in Bremen, Gelsenkirchen, Kiel und auf St. Pauli) bereits durch Plakate, Banner und Spruchbänder an der Aktion beteiligt und ihren Unmut an der Endrunde in Katar geäußert. Zudem entscheiden sich immer mehr Kneipen deutschlandweit, die WM-Spiele nicht in ihren Räumlichkeiten auf dem TV zu übertragen und planen teilweise sogar Gegenveranstaltungen.

Plakat Boycott Qatar
Boykott-Plakat während des DFB-Pokalspiels SC Freiburg gegen FC St. Pauli (Quelle: twitter.com/boycottqatar22/)

Auch einige Spieler und Funktionäre der teilnehmenden Nationen üben Kritik daran, dass die WM an Katar vergeben wurde. Nach aktuellem Stand nehmen allerdings alle der 32 qualifizierten Länder an dem Turnier teil.

„Die FIFA ist der Hauptschuldige an dieser ganzen Problematik, weil sie es versäumt hat, Menschenrechtsvorgaben in den Bewerbungsprozess mit aufzunehmen.“
(Fußballfunktionär Andreas Rettig in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ am 19.10.2022)

Es gibt allerdings auch eine Vielzahl an Stimmen, die sich gegen einen vollständigen Boykott der Endrunde aussprechen. So sagte beispielsweise der ehemalige Bundestrainer Rudi Völler, er halte dies für ein „falsches Zeichen“ (Quelle: sportschau.de). Er empfiehlt stattdessen die Probleme direkt vor Ort anzusprechen.

Was ist in Katar anders als bei vergangenen Weltmeisterschaften?

Gegner und Kritiker der WM bemängeln darüber hinaus die vielen Sonderregelungen, die offenbar notwendig sind, um einen reibungslosen Turnier-Ablauf in Katar zu garantieren. Wegen der dort üblichen klimatischen Bedingungen, im Speziellen der hohen Sommertemperaturen, muss die WM erstmals in der Geschichte des Turniers im November und Dezember stattfinden. Zeitlich konkurriert die Veranstaltung damit jedoch mit zahlreichen nationalen Ligen, die ihre Spielpläne, Rahmen-Terminkalender und Winterpausen für das WM-Jahr folglich anpassen mussten. Ein weiterer Dorn im Auge ist vielen auch die mangelnde Fußballtradition Katars. So konnte sich das Land bislang noch nie für eine Weltmeisterschaft qualifizieren. Und um Wettbewerbspraxis zu sammeln, nahm die katarische Nationalmannschaft an der WM-Qualifikation teil, obwohl sie als Gastgeber bereits automatisch qualifiziert war.